Eine Faustregel für Startup-Gründer besagt, dass innovative Produkte einen zehnmal so großen Kundennutzen bieten müssen, als die Lösungen, die sie ersetzen sollen. Das ist ein sehr hoher Anspruch, aber wie kommt er zustande? Die Erklärung liefert John Gourville in einem Artikel für den Harvard Business Review.
Fans und Vorsichtige
Die Erklärung basiert auf der Erkenntnis, dass der Mensch dazu neigt, die Vorteile von Dingen, die er bereits besitzt, überzubewerten und die Vorteile von Dingen, die er noch nicht besitzt, unterzubewerten. Dies führt im ersten Fall dazu, dass er den Wert einer eigenen Sache für andere eher überschätzt – das heißt er ist Fan davon. Im anderen Fall unterschätzt er seinen Vorteil durch einen Wechsel – er ist übermäßig vorsichtig.
Nachteile wiegen stärker als Vorteile
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Nachteile für den Menschen viel schwerer wiegen als Vorteile. Zum Beispiel ist eine Wette, bei der man mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 50% 100$ gewinnen oder verlieren kann, im rechnerischen Ergebnis neutral. Dennoch mussten die Forscher ihren Probanden Gewinne zwischen 200$ und 300$ versprechen, bis sie die Wette attraktiv fanden. Aus diesem und ähnlichen Experimenten wurde die Faustregel abgeleitet, dass Kunden Nachteile dreimal so intensiv erleben, wie Vorteile.
Wechseln heißt abwägen
Wenn ein Mensch überlegt, zu einer neuen Alternative zu wechseln, wägt er die Vor- und Nachteile der bestehenden und der neuen Lösung gegeneinander ab. Beispielsweise bedeutet der Wechsel von einer gekauften Musiksammlung zu einem Streaming-Dienst:
- Vorteil: Riesige Auswahl
- Nachteil: Ein Internet-Zugang ist erforderlich
- Vorteil: Komfortablere Bedienung
- Nachteil: Die bisherige Musiksammlung wird wertlos
Je, nachdem, ob Vor- oder die Nachteile subjektiv(!) überwiegen, wird der Kunde wechseln oder bei seiner bisherigen Lösung bleiben.
Erfinder überschätzen, aber Kunden unterschätzen
Wer eine innovative Lösung erfunden und entwickelt hat, ist automatisch von dessen Vorteilen überzeugt. Er „besitzt“ die neue Lösung schon, weil er sich mit ihr beschäftigt hat und sie versteht. Für ihn ist es klar, dass seine Zielgruppe zu seiner Lösung wechseln sollte und dass sie dadurch besser dran sein wird, als zuvor. Studien zeigen, dass Unternehmen die Vorteile ihrer Innovationen für ihre Kunden um etwa das Dreifache überschätzen.
Für potenzielle Kunden gilt aber die umgekehrte Situation: Sie bewerten die Vorteile ihrer bisherigen Lösung bzw. die Nachteile durch den Wechsel viel stärker. Daraus verbreitert sich die Diskrepanz in der Wahrnehmung um einen weiteren Faktor drei.
Neun ist fast zehn
Im Ergebnis liegen die Einschätzungen der Vorteile einer Innovation zwischen Anbietern und Kunden um das Neunfache auseinander. Damit müssen Unternehmen mindestens den neunfachen Mehrwert (nach eigener Einschätzung) bieten, um potenzielle Kunden zum Wechsel zu überreden.
Aus diesem Faktor neun ist dann die bekannte Faustregel für Startup-Gründer geworden.
Proprietary technology must be at least 10 times better than its closest substitute in some important dimension to lead to a real monopolistic advantage.
Peter Thiel
Lösungmöglichkeiten
Die fünf Faktoren, die die Akzeptanz eines innovativen Produktes am stärksten fördern, sind:
- Es ist für potenzielle Kunden leicht, das Produkt risikofrei zu testen.
- Das Produkt hat einen höheren (zehnfachen) Kundennutzen gegenüber dem Status Quo.
- Das Produkt ist zur vorhandenen Situation beim Kunden kompatibel.
- Das Produkt ist einfach.
- Der erfolgreiche Einsatz des Produktes ist für andere sichtbar.
Diese fünf „TACOS“-Faktoren sind im Founders Playbook genauer beschrieben.
Die Wechselabwägung kann man umgehen, indem man als Zielgruppe erstmalige Käufer wählt. Für diese sind alle Alternativen gleichermaßen neu.
Ansonsten bleibt nur noch der Rat, sich auf eine unerfreulich lange Adoptionszeit einzulassen…
Der Beitrag Warum innovative Produkte 10x besser sein müssen erschien zuerst auf Impulse für Innovation.